ZIP 1992, 191
BGB §§ 779, 242, 326; GG Art. 20 Abs. 3
Keine Bindung der Akkordstörer durch Sanierungsvergleich mit Gläubigermehrheit („co-op“)
Amtliche Leitsätze:
1. Nach geltendem Recht entfaltet ein außergerichtlicher Sanierungsvergleich eine Bindungswirkung nur für diejenigen Gläubiger, die ihn geschlossen haben. Sogenannte Akkordstörer sind grundsätzlich auch dann nicht gehindert, ihre Ansprüche gegen den Schuldner uneingeschränkt durchzusetzen, wenn eine ganz überwiegende Mehrheit der Gläubiger einen derartigen Vergleich befürwortet.
2. Die Annahme einer Gefahrengemeinschaft aller Gläubiger des in eine Krise geratenen Unternehmens mit der Folge einer Zulassung von Mehrheitsentscheidungen zum Zweck seiner außergerichtlichen Sanierung, die auch für nicht zustimmende Gläubiger verbindlich sind, würde die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten und gegen die verfassungsrechtliche Bindung des Richters an Gesetz und Recht verstoßen.
3. Gläubiger, die einem außergerichtlichen Sanierungsvergleich nicht zugestimmt haben, handeln grundsätzlich nicht rechtsmißbräuchlich, wenn sie ihre Ansprüche gegen den Schuldner in vollem Umfang geltend machen.
4. Zum Rücktritt von einem außergerichtlichen Sanierungsvergleich.
2. Kollektive Bindung durch das Schuldverschreibungsgesetz
a) Treuebindunq der Anleihegläubiger
Die Klägerin unterliegt als Anleihegläubigerin gegenüber der Gläubigergemeinschaft
einer Treuepflicht. Diese Treuepflicht des einzelnen Anleihegläubigers
wird durch die Regelungen des Schuldverschreibungsgesetzes in § 4
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und § 5 SchVG geregelt und entspricht jedoch seit jeher einem anerkannten
Grundsatz des Schuldverschreibungsrechts. Dieser Grundsatz der „kollektiven
Bindung" (vgl. § 4 SchVG 2009) bzw. der „gemeinsamen Rechte"
(SchVG 1899) verbietet es dem individuellen Anleihegläubiger, entgegen den
Interessen der Gläubigergemeinschaft Rechte aus den Anleihen herzuleiten,
die auf eine individuelle Bevorzugung einzelner Gläubiger hinausläuft.
Auf eine solche Bevorzugung liefe jedoch die vorzeitige Kündigung von Anleihen
- über die nicht einschlägigen Kündigungsgründe nach § 9 Abs. 1 der
Anleihebedingungen - aus wichtigem Grund hinaus.
Dabei kann es offen bleiben, ob der Kreis jeweiliger Anleihegläubiger als eine
BGB-Gesellschaft nach § 705 ff. BGB, eine Bruchteilsgemeinschaft nach
§§ 741 ff. bzw. eine Gemeinschaft su i generis anzusehen ist
vgl. die Nachweise bei Verannemann, SchVG, § 4 Rn. 11.
Entscheidend ist: Jeder Anleihegläubiger weiß bei Erwerb der Anleihen, dass
er die emittierten Anleihen nicht alleine bezogen hat, sondern dass andere
Gläubiger ebenfalls Anleihen bezogen haben. Dieses Wissen um die zwingende
Gläubigermehrheit im Recht der Schuldverschreibungen führt jedoch
dazu, dass der individuelle Anleihegläubiger nicht nach freiem Belieben kündigen
kann, wenn sich die finanzielle Situation des Anleiheschuldners verschlechtert
bzw. dieser - aufgrund zwingender rechtlicher Vorgaben - eine
solche Verschlechterung ankündigt.
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